Upskirting: Wie zwei Frauen gegen Spannerfotos kämpfen
Frauen heimlich unter den Rock zu fotografieren ist bislang nicht strafbar. Mit einer Petition wollen zwei junge Frauen dagegen vorgehen. Aber wie groß ist das Problem?
Als ihr ein Mann auf einem Festival die Kamera unter den Rock hält, ist Hanna Seidel 16 Jahre alt. Und es ist nicht das einzige Mal, dass irgendjemand ihren Intimbereich fotografiert. Beim ersten Übergriff ist Hanna erst 13 - damals, auf einer Klassenfahrt, haben Lehrer anderer Schulen mehreren Mädchen unbemerkt unter die Röcke gefilmt.
Was passiert jetzt mit dem Foto? Wo landet es? Und wer nutzt es, um sich damit zu befriedigen? Gedanken, die die junge Frau für eine sehr lange Zeit beschäftigen.
In Finnland und Schottland wird Upskirting bereits bestraft
Mehr als zehn Jahre später formuliert Hanna Seidel ihre Bedenken laut: "Das sind legale Übergriffe auf Frauen in der Öffentlichkeit." Eben diese Form der Übergriffigkeit wird in anderen Ländern wie Finnland, Schottland oder auch Australien längst bestraft. Zuletzt hatte auch in Großbritannien eine Kampagne dazu geführt, dass das sogenannte Upskirting mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann. In Deutschland dagegen ist diese Tat nicht hinreichend vom Gesetz abgedeckt.
Strafbar macht sich ein Täter hierzulande erst, wenn er die Aufnahmen verbreitet. Das bloße Fotografieren ist weiterhin legal. Laut § 201a im Strafgesetzbuch sind diese Bilder und Filme lediglich in privaten und geschlossenen Räumen verboten - nicht aber in der öffentlichen Umgebung.
Die sexuelle Belästigung nach § 184i im Strafgesetzbuch greift ebenfalls nicht, solange bei dem Vorgang keine Berührung zwischen Täter und Opfer stattfindet. Demnach müsste sich die betroffene Frau an ihren Belästiger wenden und ihn bitten, die Bilder oder Videos zu löschen - vorausgesetzt, sie weiß überhaupt von den Aufnamen.
"Erst wenn der Übergriffige sich weigert, kann ein kompliziertes Zivilverfahren angestrebt werden", sagt die 28-Jährige. Der fehlende Straftatbestand führe aber dazu, dass die betroffene Frau in solch einem Fall nicht einmal die Polizei rufen kann.
Mehr als 80.000 haben die Petition gegen Upskirting unterschrieben
Also will Hanna Seidel das Problem selbst angehen. Zusammen mit Ida Marie Sassenberg, 26, hat sie deshalb die Petition "Verbietet #Upskirting in Deutschland!" losgetreten - und zwar mit Erfolg: Bisher haben mehr als 80.000 Menschen dafür unterschrieben, dass voyeuristisches Unter-den-Rock-Filmen unter Strafe gestellt wird.
Um politisch stärker gehört zu werden, haben sich die beiden Initiatorinnen vergangene Woche auch mit Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf in Stuttgart getroffen. Das Gespräch, sagte Wolf, habe ihn überzeugt, dass Upskirting als sexuelle Belästigung zu bewerten und entsprechend unter Strafe zu stellen sei.
Mit ihrer Petition gewinnen die beiden jungen Frauen immer mehr Aufmerksamkeit - medial, gesellschaftlich, politisch. Derzeit arbeiten die Justizminister in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sogar an einem Gesetzentwurf für eine Bundesratsinitiative, um die Gesetzeslücke zu schließen. Schleswig-Holstein will sich ebenfalls beteiligen.
Auch der Deutsche Juristinnenbund, kurz djb, begrüßt die öffentliche Diskussion um Upskirting. Doch seien diese Fotos nur die Spitze des Eisbergs. "Im öffentlichen und digitalen Raum sind Frauen rechtsverletzenden Belästigungen und Gewalt in immer größerem Ausmaß ausgesetzt", mahnt djb-Präsidentin Maria Wersig fest und ergänzt: "Die Debatte ist überfällig!"
Häufig würden diese Aufnahmen ohne das Wissen der Frauen anonym in Diskussionsforen und über andere Kanäle geteilt. Es gehe daher um die Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum einerseits und Aspekte digitaler Gewalt gegen Frauen andererseits. "Es wird massiv in das Persönlichkeitsrecht und in die sexuelle Selbstbestimmung der Betroffenen eingegriffen."
Bisher haben die Behörden keine offiziellen Fallzahlen zu Upskirting
Weil Upskirting aber bislang kein Straftatbestand ist, haben Ministerien und Justiz keine präzisen Fallzahlen. Allerdings, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums München, sei das Problem nicht allzu groß. "Jedenfalls bei uns handelt es sich nur um wenige Einzelfälle", die etwa zur Wiesnzeit leicht ansteigen. Oft würden es Geschädigte gar nicht bemerkten, heißt es weiter. "Und wenn sie es doch tun, dann wird die Tat von vielen Frauen nicht angezeigt."
Auch in Augsburg kommt es nur gelegentlich zu Vorfällen, wie das Präsidium Schwaben Nord bestätigt. In den letzten fünf Jahren wurden der Polizei hier insgesamt fünf Fälle gemeldet. "Die Dunkelziffer wird hier sicherlich ein Vielfaches höher liegen", sagt ein Sprecher. Die Gründe, warum diese Ereignisse so selten angezeigt werden, seien vielschichtig - etwa aus Scham der Opfer anderen gegenüber.
Bei allen Fällen war das Tatmittel ein Smartphone, berichtet der Sprecher. "Selbstverständlich trägt die Digitalisierung und die damit verbundene technische Ausrüstung, die jederzeit mitgeführt wird, dazu bei, dass das Fertigen von Bildaufnahmen immer möglich ist."
Indes haben Hanna Seidel und Ida Marie Sassenberg selbst mit vielen Opfern gesprochen. Die Frauen sind unter anderem in der Schule, am Arbeitsplatz, in der S-Bahn, auf Konzerten oder im Supermarkt belästigt worden. Männer in schottischen Kilts seien ebenso unter den Opfern wie Frauen unter den Tätern. Upskirting sei kein Randphänomen und werde nicht nur von bestimmten Nationalitäten ausgeübt, betonen die Initiatorinnen weiter - zumal rechte Gruppierungen die Petition immer wieder für eigene Anliegen missbrauchen wollen. (mit dpa)
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