Machen die Kreuzfahrtriesen Italiens Traumstädte kaputt?
Der Kreuzfahrt-Boom nimmt kein Ende. Doch viele Städte, die die Schiffe ansteuern, stehen den Touristenmassen zunehmend hilflos gegenüber. Wohin führt das noch?
Am Largo della Pace, dem Platz des Friedens in Civitavecchia, geht es rund. Alle paar Minuten spuckt ein Kleinbus eine Ladung Menschen aus, die von hier zum nahen Bus-Terminal weiterlaufen. Die Busse bringen sie in den Hafen, wo an diesem Abend das Kreuzfahrtschiff MSC Seaview auf seine Passagiere wartet. Familien, Senioren, ganze Reisegruppen steigen aus. Die Fahrer kassieren ab, sie halten Eurobündel in der Hand. Ein Fahrer fängt zu brüllen an. Offenbar gibt es Streit mit seinen Fahrgästen über den Tarif des Transports von Rom hierher ins 70 Kilometer entfernte Civitavecchia.
Es ist Nachmittag und drückend heiß. Die Touristen sind beladen mit Einkaufstüten. Ein großer schwarzer Amerikaner in Basketball-Outfit hält eine McDonald’sTüte in der Hand. Die meisten haben es jetzt eilig, in einer Stunde legt das Schiff ab. Ein Mülleimer, der zwischen dem Halt der Kleinbusse und dem Terminal in der Sonne steht, ist einer der letzten Berührungspunkte der Passagiere an Land vor der Abfahrt in den nächsten Hafen. Bevor sie den Bus besteigen und wenig später an Bord gehen, werfen die Touristen hier ihren Müll ab. Längst ist der Eimer voll. Ein britischer Tourist lässt sein Cola-Fläschchen drei Meter vor dem Eimer auf den Boden fallen, ein letzter Abschiedsgruß an Civitavecchia.
Der Mülleimer ist ein Symbol: Er ist überfüllt – wie die Kreuzfahrtschiffe, das Mittelmeer, die Städte und viele Geldbeutel auch. Die Frage lautet, wann in diesem Betrieb einmal die Grenze erreicht ist.
In Venedig prallte ein Kreuzfahrtschiff auf ein Ausflugsboot
Als Anfang Juni in Venedig ein Kreuzfahrtriese auf ein Ausflugsschiff und die Hafenmole prallte, wurden vier Personen verletzt. Es kam damals auch die Frage auf, wann dem Geschäft und seinen Nebeneffekten Einhalt zu gebieten ist. Das Business mit den Kreuzfahrten boomt, doch Städte wie Rom, Florenz oder Venedig werden immer voller und unbewohnbarer. Wegen der Unterwasser-Verdrängung der zigtausende Tonnen schweren Schiffe erodiert der Untergrund in der Lagune Venedigs, die Statik der Stadt selbst ist also langfristig gesehen bedroht. Dazu kommt die Luftverschmutzung durch die Ozeanriesen, die in den Häfen rund um die Uhr die Motoren laufen lassen und deren Schweröl um ein Vielfaches mehr Stickoxide und Schwefel ausstößt als der Treibstoff von Pkw.
Gerade hat der Verein „Italia Nostra“ (Unser Italien) deshalb die UN-Kulturorganisation Unesco aufgefordert, Venedig auf die Liste der gefährdeten Weltstätten zu setzen. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Flavia Corsano von Italia Nostra. „Anstatt es wie die Norweger zu machen, die die großen Schiffe aus den Fjorden ausgesperrt haben, lassen wir die Schiffe überall rein.“ Sogar für den 500 Jahre alten Hafen der Toskana-Insel Elba sei ein Kreuzfahrt-Terminal in Planung. „Solange sich das Tourismus-Modell nur daran orientiert, dass immer mehr Passagiere befördert werden können, haben wir mit unseren Anliegen keine Chance“, sagt Corsano. Verantwortlich seien in erster Linie die großen Kreuzfahrt-Konzerne, die „Geld in Strömen“ verdienten.
Tatsächlich geht der Trend nach wie vor nach oben. Weltweit soll in diesem Jahr erstmals die Marke von 30 Millionen Kreuzfahrt-Passagieren geknackt werden. Seit 2009 sind die Passagierzahlen in Italien um 25 Prozent gestiegen. Kreuzfahrten sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. 4000 Arbeitsplätze hängen alleine in Venedig direkt an der Kreuzfahrt-Branche, einmal abgesehen vom gesamten Geschäft, das mit den Passagieren gemacht wird.
Wenn man die Erwerbskette zum Beispiel aus Civitavecchia zurückverfolgt, sieht sie in etwa so aus: Die Busunternehmen, die die Passagiere nach einem Tagesausflug vom Terminal aufs Schiff transportieren, verdienen. Es verdienen auch die Fahrer der Kleinbusse, die die Menschen nach Rom und zurück transportieren. Es verdienen Fremdenführer, Museen, die Stadt Rom mit den Eintrittsgeldern etwa für das Kolosseum, der Vatikan. Außerdem verdienen Restaurantbetreiber, Eisdielen und nicht zuletzt die fliegenden Händler in der Stadt, die Rosen verkaufen. Was ist aber, wenn das Gleichgewicht zwischen Wohlstand und Lebensqualität zugunsten des Wohlstands kippt und das Leben in den einst bezaubernden Metropolen immer unzumutbarer wird?
Wie ein Reise-Experte aus der Region den Kreuzfahrt-Boom sieht
Aidanova, Costa Deliziosa, Queen Victoria, Fantasy, Ecstasy – Mark Wittmann kennt jedes Schiff. Er hat ja auch ständig mit Menschen zu tun, die dort gern eine Kabine buchen. Seit ein, zwei Jahren spüre man den Kreuzfahrt-Boom besonders, sagt der Inhaber des Wittmann Reisecenters in Neuburg an der Donau. Früher seien Kreuzfahrten etwas „extrem Exklusives“ gewesen, erzählt er. Senioren, alleinstehende Witwen, Wohlhabende, das war die Kundschaft. Heute sind die Preise günstiger, Kreuzfahrten für ein paar hundert Euro zu haben. An Bord herrscht weniger Etikette, also buchen in Wittmanns Büro auch Familien und Urlauber, die später in Jeans beim Captain’s Dinner sitzen werden. Wohin geht die Reise? „Im Sommer vor allem in den Mittelmeerraum, im Winter in die Karibik, nach Dubai oder Asien.“
Eins eint alle Schiffsgäste: Wer eine Kreuzfahrt bucht, wolle „etwas ganz Besonderes“ erleben. Wittmann freut sich, wenn er dabei helfen kann. Das ist sein Job. „Die Schiffe bieten alles. Man hat jede Annehmlichkeit vom Pool bis zum Kino, ist fast täglich an einem anderen aufregenden Ort und im Zweifel spricht auch noch jeder deutsch.“
Aber was, wenn es zu viele werden? Der Reiseexperte kann gut verstehen, wenn Städte wie Palma oder Venedig den Riesenschiffen das Anlegen verwehren wollen – dass es etwas bringt, glaubt er nicht. „Dann legen die Schiffe eben eine halbe Stunde entfernt von der Lagune an und die Urlauber werden im Bus in die Innenstädte gefahren. Das ist den Leuten egal.“ Genauso wie dem Großteil der Kreuzfahrer der Umweltschutz zumindest für ihre Zeit auf dem Schiff relativ egal zu sein scheint. „Es gibt zwar Leute, die bewusst nur mit der Aidanova fahren möchten – dem ersten Flüssiggasschiff auf dem Markt.“ Manch andere bezahlen den CO2-Ausgleich, kompensieren also ihre Schadstoffe mit Spenden an Umweltprojekte. Insgesamt aber, so formuliert es Wittmann diplomatisch, spiele der Umweltgedanke „eine eher untergeordnete Rolle“.
Civitavecchia, das sich selbst den Beinamen „Port of Rome“ (Hafen von Rom) gegeben hat, ist der meist angefahrene Hafen für Kreuzfahrten in Italien, nach Barcelona der meist angefahrene Mittelmeerhafen für Kreuzfahrtschiffe. 2,4 Millionen Passagiere gingen hier 2018 an Land, das sind in etwa zehn Prozent aller Besucher, die im Jahr nach Rom kommen. Nimmt man an, samt Transport, Besichtigungen und Verpflegung gibt ein durchschnittlicher Passagier am Tag in Rom 200 Euro aus, wird das Volumen des Geschäfts deutlich: Fast eine halbe Milliarde Euro fließt hier über das Jahr verteilt – nur an Land und in einer einzigen Stadt, der Umsatz der Kreuzfahrt-Anbieter nicht eingerechnet.
Manchmal liegen sieben Riesenschiffe gleichzeitig im Hafen
760 Ozeanriesen legten 2018 in Civitavecchia an, in diesem Jahr sollen es 827 werden. Manchmal liegen sieben Riesenschiffe gleichzeitig im Hafen der Kleinstadt, 20.000 Menschen ergießen sich dann über Rom und seine Gassen. Dass das Maß längst voll ist, spürt man besonders im überlaufenen, weil auf dem Wasser gebauten und deshalb engen Venedig. Aber auch in Rom.
Man merkt das, wenn man durch das Zentrum läuft. An der Fontana di Trevi ist gegen Mittag kein Durchkommen. Überhitzte Körper schieben sich aneinander vorbei. Antonio Blasco kommt gerade aus einer Bäckerei und hält ein dampfendes Stück Pizza in der Hand. Er und seine drei Mitstreiter haben ihre Reisegruppe verloren, mit der sie sich in wenigen Stunden durch Rom kämpfen sollten. Blasco ist 30 Jahre alt, auf seiner Brust klebt ein Aufkleber des spanischen Kreuzfahrt-Unternehmens Pullmantur. „Die fünf Wunder des Mittelmeers“ lautet der Titel der siebentägigen Kreuzfahrt. „Es ist fantastisch“, sagt Blasco mit einem Strahlen und beißt in seine Pizza. Jeden Tag sehe man eine andere Metropole und deren Schätze. Er hat sich für die Brotzeit in der Nähe des Trevi-Brunnens auf die Schwelle eines Hauseingangs gesetzt. Wohnen möchte man hier nicht.
Vorgestern ging es in Barcelona los, gestern war Neapel dran, heute Rom und morgen geht es, ja wohin geht es eigentlich? Antonio fragt seine Lebensgefährtin Cristina um Rat. Die weiß, dass das Schiff heute Abend von Civitavecchia in Richtung Florenz unterwegs sein wird. Florenz hat ebenso wie Rom keinen eigenen Hafen, aber die ausgefeilte Logistik der Kreuzfahrt-Branche macht es möglich. Livorno dient als Hafen von Florenz und Pisa, Busse chauffieren die Passagiere für Tagestouren nicht nur in die Städte, sondern auch an Orte, an denen man „die Landschaften der Toskana fotografieren“ kann, so ist es auf der Webseite des Veranstalters zu lesen.
Von der Toskana geht es weiter nach Villefranche zwischen Nizza und Monaco, in den Provence-Hafen Sète in Frankreich und dann nach acht Tagen zurück nach Barcelona. „Man bekommt alles auf der Reise zu sehen“, schwärmt Blasco.
Was der Boom mit der Umwelt macht, darüber macht sich Antonio keine Gedanken
Als die MSC Opera Anfang Juni in Venedig das Ausflugsboot rammte, haben Antonio und Cristina das auch mitbekommen. „Wir sind erschrocken“, erzählt Cristina. Aber wenn man nun selbst an Bord ist, könne man sich das gar nicht vorstellen. „Das Schiff ist so groß, alles andere wirkt so klein“, sagt Antonio. Über die Nebeneffekte dieser besonders flüchtigen Art von Massentourismus, über Umweltschäden und überfüllte Städte hat er sich bisher keine Gedanken gemacht, sagt er. Die anderen stimmen ihm zu.
„Selfie-Tourismus“ nennt das Flavia Corsano von Italia Nostra. Sie meint, nur noch eine Verzweiflungsgeste könne Italien vor dem Fortgang dieser Entwicklung retten. Vielleicht kämen weniger Leute, wenn Italien ganz aus der Liste des Weltkulturerbes gestrichen würde. Manchmal habe sie den Eindruck, Italien sei auf Droge. „Mit dem Massenandrang bringen wir uns letztendlich selbst um, aber offenbar kommen wir einfach nicht von dieser Art von Tourismus los.“
Ein deutsches Wochenmagazin hat gerade einen Fotowettbewerb gestartet. Leser sollen originelle Bilder rund um die Farbe Grün einsenden. Von grünen Wiesen, vom Frühling, über die Hoffnung, in der Art. Umwelt ist ja ein Mega-Thema. Es gibt auch etwas zu gewinnen: eine Kreuzfahrt von Barbados nach Mallorca im Wert von 5500 Euro.
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