Das Trauma verstärken
Die deutschen Frauen gewannen zuletzt immer, wenn sie auf die Schwedinnen trafen. Am Samstag ist es wieder so weit – bis dahin schläft die Trainerin schlecht
Ausreichend Schlaf bei einer Fußball-Weltmeisterschaft zu bekommen, ist für die meisten Protagonisten nahezu unmöglich. Zu anstrengend die Reisen, zu vollgepackt der Tagesplan, zu ausufernd die Reizüberflutung. Auch Martina Voss-Tecklenburg bildet da keine Ausnahme. Nur: „Die Bundestrainerin schläft generell nicht gut, wenn sie nicht zu Hause ist.“ Zudem arbeite sie meist 14, 16 Stunden, „hoch konzentriert“, wie sie sagte, „und wenn ich so vieles im Kopf habe, kann ich das nicht in einer halben Stunde wegschieben.“
Umso wichtiger, dass sich auch die Führungskraft der deutschen Fußballerinnen am Dienstag mal eine Auszeit gönnte, selbst wenn der freie Tag doch wieder nur ein halber war: Morgens gab die Trainerin eine Pressekonferenz und Interviews zum bevorstehenden Viertelfinale Deutschland gegen Schweden (Samstag 18.30 Uhr/ ARD), ehe sich die 51-Jährige einen Ausflug nach Saint-Malo gönnte, eine der schönsten Ecken der Bretagne. Ihre Spielerinnen sollten in dieser Zeit, riet sie grinsend, „ihren Kulturbeutel mit allen Dingen auffüllen, die man einkaufen muss, wenn man drei Wochen unterwegs ist“.
Abends hatte die Chefin der gesamten Delegation einen gemeinsamen Besuch beim Achtelfinale Niederlande gegen Japan verordnet, damit alle die Atmosphäre im Roazhon Park erleben. In der Heimstätte des französischen Pokalsiegers Stade Rennes steigt am Samstag dann der ewige Klassiker des Frauenfußballs. Deutsche und Schweden ziehen sich an wie zwei gigantische Magnete.
„Das gab es bei jedem Turnier. Es ist gar nicht verwunderlich, dass es wieder zu dieser Konstellation kommt“, befand Voss-Tecklenburg. Bei der EM 2013 schied Schweden als Gastgeber in einem dramatischen Halbfinale in Göteborg noch unglücklich aus (0:1), um bei der WM 2015 im kanadischen Ottawa im Achtelfinale chancenlos zu sein (1:4). Bei den Olympischen Spielen 2016 setzte es in Rio erst im Finale eine Niederlage (1:2), ehe es bei der EM 2017 in Breda in den Niederlanden in der Vorrunde keinen Sieger gab (0:0). Die letzte deutsche Turnier-Niederlage reicht bis zur WM 1995 zurück (2:3). Die Trainerin erinnerte sich aus ihrer aktiven Zeit noch an das verlorene Spiel um den dritten Platz bei der WM 1991 (0:4): „Eine schlechte Erfahrung, da habe ich mich an der Schulter verletzt.“ Was nichts gegen die fast traumatischen Erfahrungen der Skandinavierinnen ist, von denen Abwehr-Ass Nilla Fischer sagte: „Ich würde gern Weltmeister, ohne gegen Deutschland gespielt zu haben.“ Aber das geht offenbar nicht.
Die deutsche Seite würde ihren Job schlecht machen, wenn sie sich auf das Gesetz der Serie verließe. „Ich glaube nicht, dass das irgendein Faktor ist. Wir müssen alle mit der Drucksituation umgehen“, versicherte Voss-Tecklenburg. Sie weiß, dass an dieser Partie die wichtige Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 hängt, um den von ihr beschriebenen „Prozess“ der Erneuerung und Entwicklung fortschreiben zu können.
Persönlichen Druck empfindet sie deshalb nicht, weil: „Ich vertraue dieser Mannschaft, die ein enormer Charakter, Leidenschaft und Wille kennzeichnet.“ Eines könne sie versprechen: „Man wird ihr nicht den Vorwurf machen können, nicht an die Grenzen zu gehen.“
Etwas vorsichtiger äußerte sich die ansonsten viel Zuversicht ausstrahlende Überzeugungstäterin, was die Rückkehr von Dzsenifer Marozsan angeht, die am Mittwoch bei einer „Spielsimulation“ (Voss-Tecklenburg) teilnehmen soll. Eventuell werde sich erst am Samstag entscheiden, ob „es von Beginn an die Option mit ihr gibt, oder ob wir die Option vielleicht erst im Laufe des Spiels ziehen wollen“. Denn: „Der Zeh ist und bleibt gebrochen.“ Die 27-Jährige selbst hatte sich ähnlich geäußert. Vielleicht reicht es auch, das Schreckgespenst Marozsan einfach in der Hinterhand zu haben: Die Spielmacherin erzielte 2016 und 2013 die entscheidenden Tore.
Die deutschen Frauen sind aber nicht nur psychologisch, sondern auch physiologisch im Vorteil: Zum einen ist ihre Vorbereitungszeit zwei Tage länger, zum anderen weilen sie genau in jener Region, die bisher von der Hitzewelle in Frankreich verschont geblieben ist. Voss-Tecklenburg freute sich über „das deutsche Wetter“, weil es helfe, die Energiespeicher für die entscheidende Phase zu befüllen. Die Voraussetzungen könnten also besser kaum sein. Allein das Erreichen der Finalwoche in Lyon würde dann vielleicht jenen nachhaltigen Effekt erzeugen, den sich Voss-Tecklenburg für den deutschen Frauenfußball so sehnlichst wünscht. „Das wird aber davon abhängen, wie weit wir kommen.“ Klar ist: Der Halbfinaleinzug wäre für alle Beteiligten so etwas wie ein Ruhekissen. Und damit schläft sich dann vielleicht auch wirklich besser.
Die Diskussion ist geschlossen.