Michael Jacksons Vermächtnis in München gerät in Schieflage
Zehn Jahre nach seinem Tod gräbt eine Doku alte Vorwürfe gegen Michael Jackson aus. Unter dem Denkmal des „King of Pop“ wird auch in München debattiert.
Michael Jackson starb an einem Donnerstag, er wurde nur 50 Jahre alt. Glaubt man dem Guinnessbuch der Rekorde, ist er der erfolgreichste Künstler aller Zeiten. Und zugleich der Umstrittenste. Schon zu Lebzeiten musste sich der „King of Pop“ immer wieder vor Medien und auch vor Gericht wegen Kindesmissbrauchs rechtfertigen.
Jetzt, zehn Jahre nach seinem Tod, ist erneut eine Debatte darüber entbrannt – durch einen Dokumentarfilm. Dieser wird am Samstag, 6. April, um 20.15 Uhr bei ProSieben gezeigt. Die Aufregung ist groß, auch mitten in München.
Die Vorwürfe gegen Michael Jackson gehen bis 1993 zurück
Irina Kaminski schlendert über den Promenadeplatz. Hier, vor dem Bayerischen Hof, haben Jackson-Anhänger ihrem Idol ein Denkmal errichtet. Mit der Zeit, sagt die gebürtige Polin und Anwohnerin, habe sich der Platz zu einer Pilgerstätte entwickelt, zu einem kurzen Stopp von Touristen auf ihrer Besichtigungstour durch die Landeshauptstadt. Einmal den Auslöser betätigen, die Kamera blitzt und weiter zum nächsten Programmpunkt.
Für Irina Kaminski strahlt dieser Ort trotzdem Ruhe aus. Wie die 56-Jährige mehrmals betont, habe sie als Fan schon früh geahnt, dass mit Michael Jackson irgendetwas nicht stimmen könne. „Wer als erwachsener Mann so viel Zeit mit Kindern verbringt und ihnen eine eigene Nimmerland-Ranch baut, hat tief sitzende Probleme“, glaubt sie. Ihre Stimme wird leiser.
Die Vorwürfe gegen den afro-amerikanischen Musiker gehen weit zurück. Schon 1993 hatte ein Junge erklärt, im Schlafzimmer des Sängers Opfer sexueller Übergriffe geworden zu sein. Jackson stritt das konsequent ab und einigte sich mit der Familie des Jungen auf eine Abfindung in Höhe von mehreren Millionen Dollar.
Jahre später kamen jedoch ähnliche Anschuldigungen auf, die den Künstler nach der Jahrtausendwende vor Gericht brachten. Bezüglich seiner Unschuld waren sich die Geschworenen aber einig und sprachen Jackson in allen Anklagepunkten frei.
Die Doku "Leaving Neverland" löste weltweit Diskussionen aus
In München dokumentieren mehr als hundert Bilder, Collagen und Montagen den Aufstieg des Popstars an einem Betonsockel. Daneben Kerzen und Blumen. Hier und heute ist Jackson Kult. Irina Kaminski nickt nachdenklich. „Ja, das ist er“, sagt sie. Gleichermaßen bedaure sie es, dass diesem Vermächtnis wieder alte Behauptungen entgegenstehen – aufgeworfen durch „Leaving Neverland“, eine Dokumentation des Senders HBO, die im Januar Premiere im amerikanischen Fernsehen hatte.
Darin halten Wade Robson und James Safechuck dem Musiker vor, sie in ihrer Kindheit missbraucht zu haben. Die Äußerungen der beiden inzwischen erwachsenen Männer sind allerdings umstritten. So hatte etwa Robson im Missbrauchsprozess 2005 unter Eid ausgesagt, Jackson sei nie übergriffig geworden.
Irina Kaminski weiß nicht so recht, was sie von all dem halten soll. „Als Fan möchte ich an Michaels Unschuld glauben.“ Das falle ihr aber zusehends schwer. Wie ihr ergeht es vielen, die in diesen Tagen den Promenadeplatz passieren. Allerdings nicht allen.
Robert Burr zum Beispiel hält die Debatte um Jackson für „völlig überhöht“. Den 33-Jährigen, der kein Fan des Popstars war und ist, stört es, dass ein US-Film derart viel Aufregung hervorrufen kann. Zwar habe er die Doku noch nicht gesehen, die viel diskutierten Inhalte wohl aber verfolgt. Sein Fazit: „Wie kann man die Argumentation zweier Männer ernst nehmen, die sich widersprechen?“ Das Handeln der vermeintlichen Opfer verurteilt der Münchner als „unaufrichtig“.
Viele Sender boykottierten Michael Jacksons Musik zunächst
Wie unter jenem Denkmal in München sind auch die Reaktionen weltweit zwiespältig. Während über Michael Jackson in den USA kontrovers diskutiert wurde, zogen Radiosender in Europa und Kanada direkt Konsequenzen. So kündigte zunächst der norwegische Rundfunk an, die Musik des „King of Pop“ zu boykottieren.
Kurz darauf verzichteten mehr als 20 kanadische Radiosender ebenfalls auf Jackson-Songs. Ähnliche Berichte gab es über britische Medien. Mittlerweile haben viele Sender ihre Entscheidung wieder zurückgenommen, etwa mit der Begründung, dass Kunst unabhängig vom Künstler betrachtet werden müsse.
Ein Schritt, den Robert Burr unterstützt. „Musik und Musiker müssen voneinander getrennt werden“, bekräftigt der Oberbayer. Er betont, er sei ausdrücklich kein Jackson-Fan. „Solange aber keine wirklichen Beweise für Jacksons Schuld vorliegen, besteht die Unschuldsvermutung.“ Für Burr scheint der Zeitpunkt, zu dem „Leaving Neverland“ ausgestrahlt wird, ohnehin auffällig.
Seiner Ansicht nach ist es bemerkenswert, dass der Film in einer Zeit erscheint, in dem mehrere Schauspieler, Regisseure und Musiker mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert werden – darunter R. Kelly und Kevin Spacey. „Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert. Und für alle, die an dieser Dokumentation beteiligt sind, geht es um sehr viel Geld.“
Irina Kaminski daneben schüttelt den Kopf. Manchmal, sagt sie, gehe es nicht nur um Geld. „Vielleicht hat er die Jungen missbraucht. Vielleicht nicht. Aber in jedem Gerücht steckt ein bisschen Wahrheit.“ Besonders dann, „wenn es sich so hartnäckig und lange hält wie dieses“, sagt die 56-Jährige.
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